Geschichte des Jiu Jitsu in Deutschland
Wenn man sich die Frage stellt, wo Jiu Jitsu herkommt, wer es erfunden hat, wozu es dient und was diese beiden Wörter bedeuten etc., kann man grob folgende Antworten zusammenfassen: Es kommt aus Japan; es wurde nicht erfunden, sondern es entwickelte sich und es war damals eine Ergänzung zu den Kampftechniken der Samurai. Jiu bedeutet weich und Jitsu bedeutet Kunst.
Tatsächlich und ganz streng betrachtet, hat Jiu Jitsu wie die meisten asiatischen Kampfkünste seine Wurzeln in Indien wo ursprünglich die Shaolin- Mönche ein Selbstverteidigungssystem entwickelten, um Ihre Klöster vor Eindringlingen zu schützen. Die Kampftechniken verbreiteten sich im Laufe der Jahre und es wurden unterschiedliche Systeme entwickelt. So kam es, dass etwa im Jahre 1650 ein Chinese namens Tsin Gembin nach Japan kam und in Owari ein Selbstverteidigungssystem lehrte, welches dem heutigen Jiu Jitsu sehr ähnlich war. Der japanische Arzt Yoshitoki erlernte diese Kunst des waffenlosen Zweikampfes, stellte jedoch fest, dass man sehr viel Kraft benötigte, um die Techniken durchführen zu können. Er begann ähnlich wie es die Chinesen in ihrem Kung Fu taten, in der Natur das Verhalten von Pflanzen und Tieren zu beobachten. Die für das heutige Jiu Jitsu wichtigste Entdeckung, die Yoshitoki machte, war das Verhalten zweier Bäume im Winter. Bei einem starken Sturm brachen die Äste eines Kirschbaues einfach ab, die Äste einer Weide hingegen waren geschmeidig und bogen sich entsprechend, brachen aber nicht ab.
Yoshitoki zog sich in einen Tempel zurück und entwickelte dort eine neue Kampfkunst nach dem „Weidenprinzip“ (Siegen durch nachgeben), die man als den direkten Ursprung des heutigen Jiu Jitsu betrachten kann. Das System war also geboren und entwickelte sich über die Jahre hinweg weiter. Völlig unabhängig davon gab es da noch einen Deutschen, namens Erwin Baelz aus Bietigheim, der an einer Universität in Tokio unterrichtete. Baelz lernte an der Universität den Begründer des heutigen Judos, Jigoro Kano kennen. Kano stammte aus einer alten Samuraifamilie und war im Besitz alter Schriftrollen, die verschiedene Kampfstile beschrieben. Baelz inspirierte Kano so, dass dieser die alten Schriftrollen aufarbeitete und zusammen mit den Erkenntnissen des Arztes Yoshitoki dem heutigen Jiu Jitsu ein Gesicht gab. Kano gilt dadurch nicht nur als Begründer des Judo, welches aus diesem System heraus später entwickelt wurde, Kano ist auch Mitbegründer des heutigen Jiu Jitsu.
Nach Deutschland kam das Jiu Jitsu durch den Deutschen Erich Rahn, der in Berlin die erste Jiu Jitsu Schule gründete. Mit verbreitet wurde das Jiu Jitsu durch Alfred Rhode, was zur Folge hatte, dass bis 1933 bereits über 100 Vereine diese Kampfkunst unterrichteten. In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg wurde es um diese Kampfkunst etwas ruhiger, da sie durch die Alliierten verboten wurde. 1969 wurde durch den Deutschen Judobund ein System mit dem Namen JU JUTSU in einer Auftragsarbeit aufgebaut. Namhafte Meister aus den Bereichen Judo, Aikido und Karate stellten dieses System zusammen.
Erich Rahn stammte aus einer angesehenen Berliner Kaufmannsfamilie. Die Beziehungen seines Vaters reichten bis China und Japan. In seinem Hause verkehrte kaiserlich-japanische Botschafter. Bei deren Besuchen spielte der Knabe Erich mit den Söhnen des Botschafters. Die japanischen Kinder waren ungefähr gleichaltrig, aber gegenüber Erich Rahn, wirkten Sie wie Zwerge. Bei gelegentlich freundschaftlichen Raufereien “erledigten” sie Erich Rahn immer wieder im Handumdrehen. Viel später erfährt er, dass er durch das Jiu-Jitsu der Japaner bezwungen wurde. Diese Erfahrung hat er nie vergessen und war fest entschlossen Jiu-Jitsu eines Tages selbst zu lernen.
Viel später sah er den japanischen Kämpfer Katsukuma Higashi im Zirkus Schumann am Schiffbauerdamm in Berlin, wie er in Sekundenschnelle einen größeren und stärkeren Mann durch Jiu-Jitsu zu Boden zwang. Rahns Begeisterung potenzierte sich derart, dass er Higashi überredete, ihm Unterricht in Jiu-Jitsu zu geben.
Hier beginnt nun die Geschichte des Jiu-Jitsu – und Judo-Sports in Deutschland, dessen Verbreitung Erich Rahn bereits in jungen Jahren plante und betrieb. Der 21jährige, nunmehr Meister im Jiu-Jitsu, entschloss sich 1906 in einem Hinterzimmer einer Kneipe in Berlin-Mitte (Niederwallstrasse am Splittmarkt) den ersten Unterricht in Jiu-Jitsu zu geben. Damals noch mit wenig Erfolg, da er erkennen musste, dass das japanische Jiu-Jitsu noch nicht perfektioniert war. Abgestimmt auf den Europäer baute er diverse Techniken aus anderen Kampfsportarten ein.
Durch Vorführungen und Kämpfe wurde die Berliner Polizei auf ihn aufmerksam (1910). Bald darauf knüpften sich Verbindungen zum Militär. Dies bedeutete für ihn den Durchbruch. In beiden Bereichen erteilte Erich Rahn Unterricht in Jiu-Jitsu, bis der Beginn des 1.Weltkrieges für eine Unterbrechung seiner Lehrtätigkeit sorgte. In den Jahren nach dem Krieg trat Erich Rahn wieder gegen Ringer und namhafte Boxer an und machte gewissermaßen eine Promotion-Tour, bevor er 1921 wieder eine Schule in Berlin-Schöneberg eröffnen konnte. In der Schule in der Hauptstraße 5 konnte er den Lehrbetrieb fortführen, bis er 1944 vor den Scherben des 2. Weltkrieges stand, denn damals wurden seine Räumlichkeiten ausgebombt.
Selbst nach Kriegsende war es nicht einfach, wieder eine Kampfsportschule zu betreiben, da die Besatzungsmächte keinerlei Kampfsport erlaubten. Bei den Engländern schmolz als erstes das Eis und so kam es, dass er bei den Westalliierten Jiu-Jitsu lehrte. 1950 allerdings war es soweit, dass Erich Rahn im Alter von nunmehr 65 Jahren seine Schule wiedereröffnete – wiederum in Berlin-Schöneberg in der Hauptstraße 109.
Zu diesem Zeitpunkt war schon ein Schüler in die Schule eingetreten, der später Erich Rahns Nachfolge antreten sollte: Ditmar Gdanietz, heute Ehrenvorsitzender des “Deutschen Jiu-Jitsu Ring Erich Rahn e.V.”, trat 1957 der Schule Rahn bei und gehörte zu den eifrigsten Schülern und bald auch zu seinen Trainern. Zu dieser Zeit ging Erich Rahn bereits am Stock, da die unzähligen Kämpfe seine Knie in Mitleidenschaft gezogen hatten. 1966 wurde Ditmar Gdanietz zum Cheftrainer des DJJR ernannt.
Am 1. Mai 1972 übergab Erich Rahn an seinem 87. Geburtstag Ditmar Gdanietz seine Schule und setzte ihn als seinen Nachfolger ein. Gut ein Jahr später verstarb Erich Rahn nach kurzer schwerer Krankheit. Seitdem führt Ditmar Gdanietz die “Kampfsportschule Rahn” in Berlin.